Bild nicht mehr verfügbar.

Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der deutschen Bundesärztekammer, präsentierte den Bericht "Medizin und Nationalsozialismus" - eine vollständige Aufarbeitung der Gräuel stehe aber noch aus.

Foto: REUTERS/Arnd Wiegmann

Berlin - Die Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus ist auch fast 66 Jahre nach dessen Ende noch nicht endgültig aufgearbeitet. "Ärzte haben in der Zeit des Nationalsozialismus aktiv an der systematischen Ermordung von Kranken mitgewirkt", erklärte der Präsident der deutschen Bundesärztekammer (BÄK), Jörg-Dietrich Hoppe, am Mittwoch bei der Vorstellung eines Forschungsberichts in Berlin. Zudem hätten sich führende Vertreter der Ärzteschaft an der Vertreibung ihrer jüdischen Kollegen beteiligt.

Der von einer unabhängigen Expertengruppe erstellte Bericht "Medizin und Nationalsozialismus" fasst erstmals den Stand der bisherigen Forschungen zusammen. Damit leiste die Studie einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung "des dunkelsten Kapitels deutscher Medizingeschichte", hob Hoppe hervor. "Die Wahrheit ist: Ärzte haben in der Zeit des Nationalsozialismus Tod und Leiden von Menschen herbeigeführt, angeordnet oder gnadenlos verwaltet." Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den von Ärzten begangenen Verbrechen habe es aber bis weit in die 70er Jahre hinein nicht gegeben. Mittlerweile habe sich die Ärzteschaft sehr intensiv mit dem Thema befasst. Eine "vollständige Aufarbeitung der Gräuel" stehe aber noch aus, fügte Hoppe hinzu.

Noch immer viele Fragen offen

Auch der Leiter der Forschungsgruppe, Robert Jütte, erklärte, es gebe nach wie vor Forschungslücken zur Rolle der Medizin in der NS-Zeit. Selbst in den mit am besten untersuchten Bereichen wie den Menschenexperimenten in den Konzentrationslagern oder der sogenannten "T4"-Aktion gebe es noch offene Fragen. "T4" war der Tarnname für eine Aktion der Nazis, bei der 1940/41 in sechs zentralen Anstalten für psychisch Kranke und Behinderte mit Hilfe von Ärzten und Pflegern mehr als 70.000 Menschen vergast oder erschossen wurden.

Dem Forschungsbericht zufolge fielen der NS-"Euthanasie" zwischen 1939 und 1945 fast 300.000 Menschen zum Opfer. Überwiegend handelte es sich um Patienten psychiatrischer Einrichtungen, die die Nationalsozialisten für "lebensunwert" hielten. Auch KZ-Häftlinge wurden in den "Euthanasie"-Anstalten umgebracht. Es war die erste systematische Vernichtung von Menschen durch das Nazi-Regime, die sich später in den Konzentrationslagern auf furchtbare Weise fortsetzen sollte. Rund 400.000 vermeintlich "erblich minderwertige" Menschen wurden außerdem zwangssterilisiert. (APA)